Putin und der Eurasien-Mythos: Die Ukrainer geben dem Wunsch nach Verwestlichung die Schuld

Wie ist das Konzept „Eurasien“ entstanden, das Wladimir Putin und dem ihm sehr nahestehenden Philosophen und Politikwissenschaftler Aleksandr Dugin am Herzen liegt? Für viele mag es überraschend sein zu erfahren, dass wir dies Karl Haushofer verdanken, einem deutschen General und Historiker, der unter anderem auch den Begriff „ Lebensraum “ erfunden hat. Bekanntlich benutzte Adolf Hitler ihn ausgiebig, um die Expansion Nazi-Deutschlands nach Osteuropa zu rechtfertigen.

Der kontinentale Block aus Europa und Asien ist in Haushofers geopolitischem Denken eine geostrategische Perspektive, die der „angloamerikanischen Thalassokratie“ entgegengesetzt ist. Daher ist der in der Antike gezogene Vergleich zwischen der Landmacht Sparta (entspricht Russland) und der Seemacht Athen (vergleichbar eher den Vereinigten Staaten) unausweichlich. Neben dem deutschen Kontext darf auch nicht vergessen werden, dass es seit langem einen nach Osten gerichteten kulturellen und politischen Trend gibt, der die gemeinsame eurasische Wurzel unterstreicht. Diese Tendenz ist auch in Russland und im „Turanismus“ von Panturco präsent, letzterer ist Erdogan sehr ans Herz gewachsen.

Das Eurasien-Projekt wird als geopolitischer Raum von Zivilisationen, Traditionen und Religionen vorgeschlagen, die koexistieren und verwirklicht werden, um Identitäten und das gemeinsame Schicksal zu verteidigen, im Gegensatz zu dem, was seine Unterstützer als "totalitären Prozess der Verwestlichung" definieren. Für Aleksandr Dugin zum Beispiel sind Liberalismus und Atlantikismus völlig unvereinbar mit der russischen Identität. Sein Denken bezieht sich auf die Lehre von Philosophen und Intellektuellen von Oswald Spengler bis Carl Schmitt, von Julius Evola bis René Guénon, von Nicolai Alexeiev bis Piotr Savitsky. Ohne Halford Mackinder zu vernachlässigen, einen der Väter der modernen Geopolitik, der Eurasien als das geopolitische und geostrategische Herz der Welt definierte, eine organische Einheit, die aus der engen Beziehung zwischen der russischen und der türkisch-muslimischen Welt hervorgegangen ist.

Man kann sich natürlich fragen, inwieweit Putin diese theoretischen Ausarbeitungen ernst nimmt. Nun, in der langen spontanen Rede, die er kurz vor Beginn der Invasion in der Ukraine hielt, waren viele dieser Ideen präsent. Da die amerikanische Herausforderung eine globale Herausforderung ist, muss die Antwort es auch sein. Es sollte nicht vergessen werden, dass Russland, sowohl das zaristische als auch das sowjetische, sich immer als Träger einer universellen Mission betrachtet hat, die weit über seine Grenzen hinausgeht. Die Idee von Putin und vielen anderen Russen ist, dass Eurasien eine tellurische Kontinentalmacht (Erde) ist, eine Alternative zur thalassokratischen (Meer).

Seiner Meinung nach versuchen die amerikanische Macht und der angelsächsische Atlantik, in das Kernland einzudringen, das geostrategische und geopolitische Herz der Welt, das eben Eurasien ist. Der Einmarsch in die Ukraine lässt sich nicht nur – aber auch – mit diesem Schlüssel erklären. Nach den obigen Thesen gehört Europa eigentlich nicht zum eurasischen Raum. Stattdessen ist es eine eigenständige, freie und unabhängige Zivilisation, die den Atlantikismus übernimmt und sich auf Hochfinanz, Globalismus, sprachliche Standardisierung und Lebensmodelle stützt. Für Putins Kreis ist es ein spezifisch angloamerikanisches „System zum Töten von Völkern“.

Es sei darauf hingewiesen, dass der Moskauer Zar während der oben erwähnten Rede die Russen ausdrücklich aufgefordert hat, in den Park und den nüchternen Lebensstil der Vergangenheit zurückzukehren, wobei er sich offensichtlich auf den sowjetischen bezog. Einer der Hauptfehler der Ukrainer wäre genau der, sich der westlichen Zivilisation anpassen zu wollen und damit Eurasien zu verraten. Dem Kreml-Chef dürften aber auch die Verwestlichungstendenzen junger Russen aufgefallen sein, die bekanntlich Fast Food wie McDonald's , Rockmusik und andere Phänomene sehr mögen, die Putin (und Dugin) als Symptome der Dekadenz mit einbeziehen Kampf um Menschenrechte.

Während noch nicht klar ist, wie der Einmarsch in die Ukraine, wo die russische Armee sehr schwere Verluste hinnehmen muss, ausgehen wird, muss auch der obige ideologische Rahmen im Auge behalten werden. In den Augen des ehemaligen KGB-Beamten ersetzte sie die frühere marxistisch-leninistische Formation. Für ihn ist es ein Kampf auf Leben und Tod gegen die liberale Demokratie und ein Versuch, in eine Vergangenheit zurückzukehren, die offensichtlich nicht vergeht.

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Dies ist eine Übersetzung eines Artikels, der am Sat, 02 Apr 2022 03:46:00 +0000 im italienischen Blog Atlantico Quotidiano unter der URL https://www.atlanticoquotidiano.it/quotidiano/putin-e-il-mito-delleurasia-colpa-degli-ucraini-il-desiderio-di-occidentalizzarsi/ veröffentlicht wurde.